Der Lateral Flow Assay – Ein fast perfekter POCT
Der Bedarf an kostengünstigen, hochsensitiven und zuverlässigen Analysemöglichkeiten, die patientennah (Point-of-Care, POC) anwendbar sind, steigt zunehmend sowohl in der westlichen Welt, als auch in Entwicklungs- und Schwellenländern. Insbesondere bei Erkrankungen mit hohen Mortalitätsraten ist zur Therapieentscheidung oft eine schnelle und quantitative Bestimmung des Probenmaterials erforderlich. Aber auch in anderen Anwendungsbereichen wie dem Heimtest zur Selbstanwendung, der Untersuchung von Lebensmittel- oder Umweltproben oder der pharmazeutischen Produktion ist der Bedarf an qualitativ hochwertigen POCT sehr hoch.
Lateral-Flow-Tests (LFA) bieten eine ideale Plattform zur schnellen und einfachen Anwendung im Point-of-Care-Bereich. Vorteilhaft sind vor allem die sehr kurzen Analysezeiten, eine einfache Handhabung, eine skalierbare Produktion mit sehr geringen Herstellkosten und die Möglichkeit der Lagerung der Tests ohne Kühlkette über lange Zeiträume. Die Kombination aus den Herstellungskosten und der Möglichkeit, diese überall sehr einfach durchzuführen, machen sie zu den meistverkauften POCT weltweit.
ELISA als Wegbereiter für den LFA
Der Erfolg der LFA basiert dabei auf dem Erfolg der Immunoassays. Diese Messmethoden, die sich die Antikörper-Antigen-Interaktion zunutze machen, um einen Analyten aus einer komplexen Probe nachzuweisen, begannen ihren Siegeszug in den 1970er Jahren. Das Besondere der Immunoassays ist die sehr gute Spezifität in Kombination mit der hohen Sensitivität in äußerst komplexen Probenmatrices. Bis heute gibt es keine anderen analytischen Methoden, die dem Immunoassay diesbezüglich auch nur ansatzweise Konkurrenz machen können.
Zwei unabhängige Forschergruppen entwickelten 1971 erstmalig die Idee des ELISAs und zeigten mit ihren Ergebnissen die Machbarkeit dieser Methode. Diese Entdeckung führte zu einer ganzen Reihe von Test- und Gerätentwicklungen, wie wir sie auch heute noch in den Laboren kennen. So wurde das klassische 96 Well Format bereits bei dem ersten kommerziellen ELISA, den die Firma Organon Teknika 1976 auf den Markt brachte, etabliert. Dies hatte unter anderem die Entwicklung der 8-Kanalpipette, ELISA-Waschgeräten und -Readern zur Folge. Bereits 1980 erschien das erste vollautomatisierte Gerät zur Durchführung von ELISA von der Firma Boehringer Mannheim auf dem Markt. Heute ist der ELISA aus dem klinischen und Laboralltag nicht mehr wegzudenken. Die positiven Auswirkungen des ELISA auf das Patientenwohl und das Gesundheitssystem sind im im Bereich der Diagnose praktisch unübertroffen.
Erster therapeutischer Einsatz von Antikörpern
Die Antikörper mit der Fähigkeit, spezifisch ein Antigen zu binden, bilden die Grundlage aller Immunoassays. Sie werden zur Immunabwehr gegen Krankheitserreger oder Pathogene vom Immunsystem (der Wirbeltiere) gebildet und ins Blut ausgeschüttet. Heutzutage macht man sich diese Eigenschaften beispielsweise beim Impfen oder zur Therapie verschiedener Krankheiten zunutze. Erstmalig therapeutisch wurden Antikörper 1890 von Emil Adolf von Behring genutzt. Dieser setzte sogenannte Antiseren zur Therapie der 1988 entdeckten Diphterie ein. Er gewann die Antiseren aus Patientenblut von Diphtherie-erkrankten und wieder genesenen Patienten, die – wie wir heute wissen – spezifische Antikörper gegen den Diphterie Erreger besitzen. Dafür erhielt der Immunologe 1901 den erstmals verliehenen Nobelpreis für Medizin.
Struktur und Wirkungsweise
In der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg wurde das Wissen über das Antiserum stetig erweitert. 1926 wurden die Antikörper erstmals aus Seren isoliert und 1930 als Protein identifiziert. Im gleichen Jahr beschrieb John Marrak erstmals die Theorie über die Antigen-Antikörper-Wechselwirkung. Die korrekte Struktur des Antikörpers wurde dagegen erst 1961 von Rodney Porter richtig postuliert. Bis zu seinen Forschungsergebnissen war man davon ausgegangen, dass die Antikörper aus einer langen Aminosäurekette bestehen. Porter stellte fest, dass das Enzym Papain den Antikörper in drei Fragmente zerlegt. Mit den Erkenntnissen des Forschers Gerald M. Edelmann, der feststellte, dass vier verschiedene Antikörper Fragmente erhalten werden, wenn man die Disulfidbrücken durch Reduktion spaltet, wurde die Antikörperstruktur erstmals richtig beschrieben.
Heutzutage werden die Antikörper, welche für diagnostische Zwecke eingesetzt werden, zumeist rekombinant hergestellt. Diese Errungenschaft verdanken wir César Milstein und Georges Köhler die 1975 das erste Mal monoklonale Antikörper nach der Hybridomatechnologie herstellen konnten. Für diesen Meilenstein der Menschheitsgeschichte (vielleicht besser „der Medizin“) bekamen die drei Forscher 1984 den Nobelpreis für Medizin verliehen.
Grundsteine für die Etablierung der ELISAs im heutigen Labor
Der Einsatz spezifischer Antikörper zur Etablierung zuverlässiger diagnostischer Methoden gelang erstmals 1960 Jacques M. Singer und Charles M. Plotz. Diese beschrieben den heute bekannten Latex-Agglutinationstest, der neben dem ELISA einer der weit verbreiteten diagnostischen Tests ist. Dazu synthetisierten sie Latexnanopartikel und versetzten diese mit γ-Globulinen. Durch Zugabe von Patienten-Seren zu der Latexpartikelmischung konnte Rheuma diagnostiziert werden. Bei Rheumapatienten aggregierten die Latexpartikel und sedimentierten, wodurch die sonst trübe Lösung aufklarte. Bei Zugabe von Seren gesunder Patienten blieb die Lösung milchig trüb. Ursache sind spezifische Antikörper, die im Serum der Rheumapatienten vorkommen und mit den γ-Globulinen wechselwirken, wodurch es zur Vernetzung zwischen Antikörpern, γ-Globulinen und Latexpartikeln kam und diese Mischung ausfiel.
Der wissenschaftliche Meilenstein und die erstmalige Beschreibung der heute bekannten Immunoassays gelang dann 1961 Rosalyn Yalow. Sie hat es erstmals geschafft, die Antikörper-Antigen-Interaktion durch eine Markierung direkt quantifizierbar zu machen. Durch die Markierung von Insulin mit dem radioaktiven Iodisotop I125 und der Verwendung von Antiseren (aus Schweinen) gelang es ihr, Insulin quantitativ nachzuweisen. Dazu wurden in einer homogenen Reaktion die Probe, markiertes Insulin und das Antiserum inkubiert und anschließend chromatographisch nach der Größe aufgetrennt. Die Radioaktivität der Fraktionen, zum einen freies Insulin und zum anderen Antikörper gebundenes Insulin, wurde vermessen, woraus anschließend die Insulinkonzentration in der Probe errechnet werden konnte. Für die Entdeckung des Radioimmunoassays erhielt sie 1977 den Nobelpreis für Medizin.
Dieser wurde lange Zeit in klinischen Labors durchgeführt und revolutionierte die Diagnostik. Allerdings wurde der Radioimmnuoassay nach und nach vom ELISA abgelöst und ist seit den 2000ern fast nicht mehr im klinischen Alltag zu finden. Die Gründe sind zum einen die gesundheitsgefährdenden Eigenschaften der radioaktiven Markierungen sowie der Fakt, dass radioaktive Markierungen teilweise schnell zerfallen (Halbwertszeiten von ca. 30 Tagen) und damit für eine kommerzielle Nutzung, bei der Lagerstabilitäten von mehreren Monaten erwartet werden, nicht geeignet sind.
Vom homogenen zum heterogenen Immunoassay – dem ELISA
Um von den ersten beschriebenen Immuoassays zum ELISA zu gelangen, bedurfte es noch weiterer herausragender Forscher und wissenschaftlich wertvoller Entdeckungen. So gelang es Leif Wide und Jerker Porath, erstmalig Antikörper gezielt und bewusst an die Oberfläche von Sephadex Partikeln zu binden. Der erste heterogene Immunoassay zum Nachweis eines Antigens war geboren. Die Möglichkeit, das homogene Probengemisch aus Antiserum, Probe und markiertem Antigen durch einfache Separation der festen Phase zu entfernen, vereinfachte die Durchführung der Imunnoassays drastisch. Dass Antikörper auch an die heute verwendeten Materialien wie Polystyrol oder Polymethylmethacrylat binden, wurde kurze Zeit später (1967) beschrieben. Der Grundstein für das heute bekannte 96 Well Format war gelegt.
Was fehlte, war eine einfachere und vor allem leichter zu detektierende Markierung am Antikörper. Viel Forscher probierten sich daran, Enzyme als Markierung an Antikörper zu binden, wobei das Problem der Vernetzung und der Inaktivierung der Enzyme durch diese Vernetzungsreaktion erstmals 1969 von Stratis Avrameas gelöst wurde. Dieser nutzte das Reagenz Glutardialdehyd zur Vernetzung der beiden Komponenten, welches auch heute noch zur Konjugation verschiedenster Proteine verwendet wird. Mit diesen Antikörper-Enzym-Konjugaten wies er intrazellulär verschiedene Antigene in Zellsuspensionen nach. Der Entwicklung des ELISA standen nun alle Bausteine zur Verfügung.
Vom ELISA zum LFA – Schwangerschaftstest als Antriebskraft
Zur Durchführung des ELISAs bedurfte es damals und bedarf es auch heute noch verschiedenster Reagenzien und Geräte sowie fachlich geschultem Personal. Eine Vielzahl von Firmen und Entwicklern hat daher unzählige automatisierte Assayformate auf dem Markt etabliert, die mit immer kleineren Geräten und kürzeren Analysezeiten den diagnostischen Prozess fast überall möglich machen. Was bleibt ist eine Vielzahl von Geräten mit unterschiedlicher Handhabung, entsprechenden Anschaffungskosten der Geräte, die Abhängigkeit einer zuverlässigen Stromversorgung sowie zumeist einer Erforderlichkeit, den einzelnen Test kühl zu lagern. Der Anforderung einen diagnostischen Test für jedermann bzw. zum Einsatz am Point-of-Care zur Verfügung stellen, wird der ELISA nicht gerecht.
Die Hauptanwendung, die die frühe Entwicklung der Schnelltesttechnologie vorantrieb, war eindeutig der Schwangerschaftstest beim Menschen, der ein kontinuierliches historisches Interesse an Urintests für medizinisch-diagnostische Zwecke darstellte.
Eine der frühesten Aufzeichnungen eines urindiagnostischen Schwangerschaftstests findet sich im alten Ägypten. In diesem Test – erwähnt im „Berliner Papyrus“ –konnte eine potenziell schwangere Frau über mehrere Tage auf Weizen- und Gerstensamen urinieren. Das Ergebnis: Wenn beide nicht wachsen, ist sie nicht schwanger. Wenn Gerste wächst, ist es ein Junge,wenn Weizen wächst, bedeutet das ein Mädchen. Weitere eher zweifelhafte Test wurden dann auch im Mittelalter beschrieben– hier sollte beispielsweise die Farbe des Urins die Schwangerschaft diagnostizieren.
Im Jahr 1927 machte man sich dann das Schwangerschaftshormon hCG im Urin erstmals für die Schwangerschaftsdiagnose zunutze. Der Urin potentiell schwangerer Frauen wurde weiblichen Mäusen gespitzt, wobei das vorhandene hCG einen Eisprung in der Maus auslöste. Durch eine Obduktion 48 Stunden später konnte dieser nachgewiesen werden. Wenig später wurde die Maus durch einen Frosch ersetzt. Das hCG löste das Laichen des Frosches aus, welches man auch ohne Obduktion des Tieres feststellen konnte. Erstaunlich ist, dass dieser Froschtest bis in die 1960er Jahre, zur Zeit der Erfindung des Immunoassays, regelmäßig durchgeführt wurde.
All diese Aufzeichnungen zeigen, dass das Interesse an einfachen und schnellen diagnostischen Tests (POCT), gerade für die Diagnose der Schwangerschaft, schon sehr lange existierte. So war auch der erste Lateral Flow Test, der 1988 unter der Marke Clearblue von der Firma Unilever auf den Markt gebracht wurde, ein Schwangerschaftstest für jede Frau.
Die Nitrocellulosemembran als Kern der LFA Technologie
Die Nitrocellulose ist ein universell einsetzbares Polymer, das seit dem 19. Jahrhundert weit verbreitet ist. Auch bekannt als Cellulosenitrat (oder Schießbaumwolle) erlangte es in dieser Zeit Bedeutung. Poröse Membranen wurden erstmal 1916 von Richard Zsigmondy beschrieben, der diese zur Filtration einsetzte.
Heute werden Nitrocellulosemembranen durch Phasenumkehr hergestellt, bei der Nitrocellulose in einem organischen Lösungsmittel gelöst wird, das in Gegenwart eines Nichtlösungsmittels verdampft, wodurch die Nitrocellulose als Membran mit hoher Porosität zurückbleibt. Die Porosität und Porengröße der Membran kann durch die verwendeten Lösungsmittel, die Verdampfungsgeschwindigkeit, die Temperatur und die Feuchtigkeit gesteuert werden. Das Ergebnis ist ein Material mit der einzigartigen Kombination von einstellbarer Porengröße, hohen Verhältnissen von Oberfläche zu Volumen und sehr niedrigen Herstellungskosten.
Die Erkenntnis, dass Nitrocellulosemembranen neben der Filtertechnik auch noch weitere herausragende Eigenschaften besitzen, wurde dann in den 1960ern gewonnen. Agnar P. Nygaard und Ben Hall zeigten 1963, dass RNA-DNA-Komplexe an der Nitrocellulose adsorbieren, wohingegen freie Nukleinsäuren diese passierten. Daraufhin wurde diese Eigenschaft von weiteren Forschern gezielt ausgenutzt, um die Wechselwirkung von immobilisierter DNA mit Zielmolekülen zu untersuchen.
Im Jahr 1975 zeigte Edwin M. Southern die Möglichkeit, DNA aus Polyacrylamidgelen auf Nitrocellulosemembranen zu transferieren und anschließend auf der Membran anzufärben. Diese bahnbrechende Technik, bekannt als der „Southern Blot“, ermöglichte es, bestimmte Nukleinsäurefragmente zu detektieren. Der Southern Blot inspirierte den „Northern Blot“ – für RNA-Transfer- sowie den “Western Blot“ -für Proteintransfer – auf Nitrocellulosemembranen. Diese Blotting-Techniken sind in der biologischen Forschung weit verbreitet und nutzen die einzigartige Fähigkeit von Nitrocellulose, mit den drei wichtigsten Klassen der Biomoleküle (Proteine, DNA, RNA) zu interagieren.
Die Idee, flüssiges Probenmaterial zusammen mit Farbpartikel-markierten Antikörpern durch poröse Nitrocellulosemembranen migrieren zu lassen, auf denen linienförmig spezifische Fängerantikörper aufgebracht wurden, wurde dann 1986 in verschiedenen Patenten beschrieben. Dabei binden die markierten Antikörper das Antigen in der Probe und bilden einen Antikörper-Antigen-Komplex. Durch Migration der Flüssigkeit passiert dieser Komplex den Fängerantikörper, welcher wiederum ebenfalls das Antigen bindet (ein sogenannter Sandwich-Assay, bei dem das Antigen zwischen zwei Antikörpern gefangen wird). Reichert sich das Antigen auf der Linie mit den Fänger Antikörpern an, reichert sich auch die Markierung des Detektionsantikörpers an und es kommt zu der Ausbildung einer farbigen Linie. Der Lateral Flow Immunoassay war geboren.